Meine Erfahrungen mit der Neuroleptika-Einnahme
Wie habe ich persönlich die Gabe von Anti-Psychotika erlebt?


Im kürzlich herausgekommenen Buch "Psychopharmakotherapie und Empowerment

Ein Trainingsprogramm zum selbstständigen Medikamentenmanagement" von Uwe Bernd Schirmer

https://psychiatrie-verlag.de/product/psychopharmakotherapie-und-empowerment/

wurde von mir als eine der Coautorinnen, außer dem Text "Vertreibung meiner Seele" der folgende leicht veränderte und gekürzte Text abgedruckt:

Ich stehe Psychopharmaka nicht grundsätzlich vollkommen abwehrend gegenüber, was andere Menschen betrifft - denn für jeden Menschen ist etwas anderes gut und richtig und für manche psychotischen Menschen bedeuten Medikamente manchmal eine kurzfristige Hilfe, um überhaupt wieder am Alltagsleben teilnehmen zu können.

Für mich selbst habe ich Neuroleptika aber viel stärker als Belastung, denn als Bereicherung erlebt.

Für mich sind nicht nur die gravierenden Nebenwirkungen und gesundheitlichen und sozialen Langzeitfolgen der Medikamente, auf die ich unten noch zu sprechen komme, problematisch, sondern auch die Wirkungen der Psychopharmaka, wie z.B. die Eindämmung meiner Sensibilität und Wahrnehmung .

In meinen Krisen, wenn ich keine oder nur sehr wenig Neuroleptika nehme, erfahre ich zudem einen Zuwachs an Kreativität im Denken und Handeln, was mir nach der Krise ein sehr mit mir verbundener Freund rückgemeldet hat:


Aufgrund dessen bin ich mit gutem Erfolg schon seit sehr langer Zeit dabei - so langsam, dass es der Körper fast nicht mitbekommt, ist meine Devise - die Medikamente komplett auszuschleichen.

Das ist mein Weg, auf dem ich weiter gehen möchte. Aber die Betonung liegt auf MEIN Weg. Denn ich respektiere jeden Betroffenen, der für sich eine andere Wahl trifft.


Die Blockierung meiner persönlichen Entwicklung

Unbestritten, selbst unter den meisten Schulmedizinern ist die Tatsache, dass Anti-Psychotika psychotische Symptome nicht heilen, sondern nur unterdrücken können.

Eine negative Konsequenz meiner jahrelangen Neuroleptikaeinnahme war und ist, dass die Neuroleptika mich nicht nur nicht "heilen" konnten/können, sondern dass sie in meinem Fall auch einer Heilung, wie auch immer man "Heilung" definieren mag, entgegen stehen und Heilungswege regelrecht verhindern.

Ich habe in der Psychiatrie immer wieder erlebt, dass es vordergründig oder ausschließlich darum ging, die als psychotisch diagnostizierten Symptome zu eliminieren.
Dies geschah mit Hilfe von Psychopharmaka aber auch mit anderen nicht-medikamentösen Gegensteuerungsmaßnahmen.

Medikamente und nicht-medikamentöse Gegenmaßnahmen werden so schnell und vehement eingesetzt, dass gar keine Zeit bleibt, zum Hinschauen, Wahrnehmen, Reflektieren, Aufarbeiten. So hatte ich auch keine Chance, die dahinterliegenden Probleme und Inhalte, dann, wenn sie präsent sind, anzuschauen, zu lernen damit umzugehen und vor allem alternative Verhaltensweisen zu entwickeln.

Nach jeder akuten Phase waren mir ganz viele meiner Wahrnehmungen und Krisen-Inhalte nicht mehr präsent, so dass auch eine nachträgliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung oft unmöglich war/ist.

Die Psychopharmaka haben fast mein komplettes Gefühlsleben und meine Erlebnisfähigkeit lahmgelegt, so dass ich lange unter der Selbstwahrnehmung, ich sei ein gefühlskalter Mensch, gelitten habe, etwas, was sich nach der Reduktion der Neuroleptika als völlig unzutreffend erwiesen hat. Das Gegenteil ist der Fall: Ich bin ein hochemotionaler Mensch mit hoher Empathie -Fähigkeit.

Ich war während meines Neuroleptika-Absetz-Prozesses regelrecht überwältigt von dem, was sich mir von meiner wahren Persönlichkeit, ohne den Einfluß und die Manipulation der Neuroleptika, offenbart hat. Ich lernte mich ganz neu kennen.


Die Neuroleptika haben also zu einer ganz irreführenden Selbstwahrnehmung geführt, sie haben meine Persönlichkeit verändert und ich musste mich mit belastenden Anteilen meiner (vermeintlichen) Persönlichkeit auseinandersetzen, was gar nicht nötig gewesen wäre.

Etwas ganz ausschlaggebendes kommt für mich hinzu:

Meine Psychosen sind für mich nicht nur mit Problematischem verbunden. Ich habe in der letzten Psychose, als ich keine Medikamente mehr genommen habe, sehr belastende, aber z.T. auch wunderschöne bewusstseinserweiterte Zustände erlebt, deren Erfahrung mir in den nicht-psychotischen Zeiten im Alltag und wenn ich Psychopharmaka nehme, verwehrt bleibt.


Nicht nur die belastenden Symptome, sondern auch all das Positive, die besondere Gabe, dieses "Mehr", an Wahrnehmung..., an Sensibilität...., das mich, Christiane Vogel ausmacht, werden mit Psychopharmaka und anderen nicht-medikamentösen Gegensteuerungsmaßnahmen, seien sie auch noch so human und gut gemeint, blockiert.

Ich möchte aber z.B. meine besondere Sensibilität und Wahrnehmungsfähigkeit nicht verlieren, sondern mit ihr umgehen lernen.

Maßnahmen und Behandlungen, die nur darauf abzielen, als psychotisch diagnostiziertes Erleben so schnell wie möglich zu eliminieren, verwehren mir auch das bewusste Erleben dieser Ressourcen und hindern mich demzufolge auch daran, mit meinem Anders-Sein, meiner besonderen Gabe oder wie auch immer man es nennen mag, umgehen zu lernen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln, z.B. wie ich mit Reizüberflutung am besten umgehe usw.

Hinsichtlich des Umgangs mit Gefühlen haben mich die Neuroleptika in meinem Entwicklungsprozess auch in so fern behindert, dass ich manchmal den Eindruck habe, dass ab dem Zeitpunkt der Neuroleptikaeinnahme manche Entwicklungsprozesse zum Stillstand gekommen sind. Das betrifft vor allem den Gefühlsbereich. Das was für die meisten Menschen selbstverständlich und ein Reifeprozess ist, nämlich im Kontakt mit sich selbst zu sein, seinen Gefühlen wie z.B. Wut, einen Ausdruck verleihen zu können oder sich hinsichtlich anderer "Baustellen", die mit dem Wahrnehmen und Erleben von Gefühlen verbunden sind, weiterzuentwickeln.... diese Entwicklung stagnierte bei mir seit Beginn der Neuroleptikaeinnahme.

Was man nicht mehr oder nur noch sehr gedämpft wahrnimmt - und die Neuroleptika haben einen starken Einfluss aufs zentrale Nervensystem und dämpfen Areale, die für den Gefühlsbereich zuständig sind - mit dem kann man weder Erfahrungen sammeln, noch sich auseinandersetzen, noch umgehen lernen. Man bleibt in dieser Hinsicht stehen.

Im Zuge des Absetzens habe ich manchmal den Eindruck, ich fange wieder dort an, wo ich mit 26 Jahren aufgehört habe. Ich fühle mich als ob ich in wenigen Monaten nun das bewältigen muss, wofür andere viele Jahre in ihrem Prozess Zeit hatten.

Denn nun, da ich meine Medikamente absetze, bin ich auf einmal mit diesen Gefühlen, die ich vorher nur gedämpft oder gar nicht mehr wahrgenommen habe, konfrontiert, und das manchmal sehr heftig.

Glücks- oder Liebesgefühle oder aber auch Wut kommen nun aufgrund jahrelanger Drosselung intensiver heraus, als es dem Anlass angemessen ist, und das »Handling« damit muss ich erst lernen. Es fehlen mir die Erfahrungswerte, die man sonst im Laufe des Lebens sammelt, und die Umgangsmöglichkeiten und Strategien, die man ansonsten entwickelt, wenn man, wie andere Menschen, mit den jeweiligen Gefühlen und damit verbundenen »Baustellen« immer wieder im Laufe der Jahre konfrontiert wird.

Diese Erfahrungen, diese Jahre, diese Lebenszeit und diese Entwicklungszeit haben mir die Neuroleptika genommen ...

Das neue, andere Erleben ist eine der größten Herausforderungen meines Lebens. Ich habe nun Kontakt zu meiner Hochsensibilität; positive und negative Erfahrungen dringen ungefilterter und mit ganzer Wucht auf mich ein. Ich bin verletzlicher als früher.

Meine Wut, meine Trauer und mein Schmerz sind intensiver, aber auch mein Lustempfinden. Ich kann übermäßig glücklich sein.
Manchmal hüpft mein Herz wie ein kleiner Vogel vor lauter Freude.

Um nichts in der Welt möchte ich trotz all dem, mit dem ich umgehen lernen muss, mit der »toten« Christiane tauschen, als die ich mich zu Zeiten der Neuroleptikaeinnahme erlebt habe.
Mein Leben ist wieder intensiv, spannend, mit Höhen und Tiefen.
Die wiedergewonnene Lebendigkeit ist das größte Geschenk für mich seit vielen Jahren.



Forschungsergebnisse zur Neuroleptikaeinnahme

Unbestritten, auch unter Medizinern, ist, dass Anti-Psychotika psychotische Symptome nicht heilen, sondern nur unterdrücken können.

Ich persönlich vergleiche die Neuroleptika-Gabe immer mit der Gabe von Schmerzmitteln, die man oft zunächst bei Zahnschmerzen verabreicht bekommt. Für eine kurze Weile unterdrücken die Zahnschmerzmittel (in meinem Falle die Psychopharmaka) die Schmerzsymptome (die als psychotisch diagnostizierten Symptome). Doch die Zahnschmerzen werden nicht dauerhaft verschwinden, wenn nicht die Ursachen für die Schmerzen behoben werden, wenn die Schmerzen nicht "an der Wurzel" bekämpft werden.
Nimmt man Schmerzmittel auf Dauer wirken sie nicht nur immer weniger und machen abhängig, sondern sie schaden richtiggehend und können schwere gesundheitliche Schäden nach sich ziehen.

Das Gleiche gilt für Neuroleptika, wie Volkmar Aderhold, Institut für Sozialpsychiatrie an der Universität Greifswald eindrücklich belegen konnte. (Quelle siehe unten)

Dr. Volkmar Aderhold, ein ganz mutiger Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin hat sich einen Namen gemacht durch aufmerksames Lesen, Aufdecken und Publik-Machen von kritischen Studien, die Neuroleptikaeinnahme betreffend. Die oft schockierenden Forschungs-Ergebnisse dieser Studien (schockierend für Menschen wie mich, die schon jahrelang Neuroleptika eingenommen haben und nicht darüber aufgeklärt wurden) sollte eigentlich jeder Psychiater kennen, da viele dieser Studien schon seit vielen vielen Jahren existieren.

Doch diese Ergebnisse werden von der Pharmaindustrie und vielen Psychiatern gerne unter den Teppich gekehrt und Patienten werden sie vorenthalten. In meiner ganzen langen "Psychiatriekarriere" hat mich bis zu Volkmar Aderhold niemand über diese Wirkungen und Nebenwirkungen aufgeklärt, ganz davon abgesehen, dass ich nie gehört habe, dass die Neuroleptika, selbst psychotische Zustände hervorrufen und chronifizieren können. Und damit ist NICHT die paradoxe Wirkung gemeint, die jedes Arzneimittel beinhalten kann.

Volkmar Aderhold hat nämlich auch die sogenannten "Absetzpsychosen" erforscht, die allein durch die Wirkung von Anti-Psychotika hervorgerufen werden und die nicht auf die psychotische Erkrankung zurückgeführt werden können. Deswegen wird jeder gesunde Mensch, ohne psychotische Vorerkrankung, der eine Weile Neuroleptika einnimmt und diese wieder reduziert, mit hoher Wahrscheinlichkeit psychotische Symptome bekommen, die einzig und allein von der Gabe der Neuroleptika herrühren. Neuroleptika können also sogar, ob nun eine psychotische Vorerkrankung vorliegt oder nicht, Psychosen auslösen, Psychosen, die man ohne die Gabe von Neuroleptika gar nicht bekommen hätte. Dies hat mit der durch die Neuroleptika verursachten vermehrten Entstehung und Sensibilisierung der sogenannten "Rezeptoren" im Gehirn zu tun.
(Quelle siehe zwei Absätze weiter unten.)

Mein Gehirn verändert sich also durch die Gabe von Neuroleptika und wird allein durch die Neuroleptikaeinnahme in einen psychosebegünstigenden Zustand versetzt. D.h. der Zustand meines Gehirns ist nun nicht mehr der gleiche wie vor der Neuroleptikaeinahme. Ich habe durch die Neuroleptika ein zusätzliches Päckchen zu tragen und zu bewältigen, habe nicht ein Problem weniger, sondern ein Problem mehr bekommen, denn die Neuroleptika haben eine erhöhte Psychoseanfälligkeit im Gehirn geschaffen. Daher habe ich, wenn ich die Neuroleptika wieder reduzieren will, nun mit einem  ZUSÄTZLICHEN Psychoserisiko zu kämpfen, einem Problem, das mir erspart geblieben wäre ohne die Einnahme der Neuroleptika.

Auf 68 Seiten verarbeitet der Psychiater Volkmar Aderhold, Institut für Sozialpsychiatrie an der Universität Greifswald die Forschungsergebnisse älterer und aktueller Studien zur Behandlung mit Neuroleptika zu einem psychopharmaka-kritischen Aufsatz.
„Neuroleptika minimal – warum und wie“ lautet der Titel des Aufsatzes, den Du auf der Seite der DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) downloaden kannst.
Volkmar Aderhold: Neuroleptika minimal

Ein weiteres sehr lesenswertes Buch eines weiteren bekannten aufgeschlossenen Psychiaters, Dr. Jann E. Schlimme lautet
https://psychiatrie-verlag.de/product/medikamentenreduktion-und-genesung-von-psychosen/


Es folgt ein äußerst sehenswerter Kurzfilm vom SWR:

Falsche Medikamentierung in der Psychiatrie | SWR Wissen




Eigene Erfahrungen mit Nebenwirkungen und Folgeschäden

Ich habe zunächst einmal erlebt, dass mir die massiven Nebenwirkungen und zum Teil irreversiblen Langzeitschäden der Neuroleptika entweder ganz verschwiegen oder verharmlost wurden.

Als ich nach der Neuroleptikaeinnahme z.B. innerhalb kurzer Zeit 20 kg zugenommen hatte, wurde die dafür verantwortliche Einnahme von Leponex (Clozapin), das nachweislich Heißhunger und Fettstoffwechselveränderungen mit sich bringt, nicht in Frage gestellt und die Gewichtszunahme als etwas dargestellt, was in Anbetracht der Gefahr einer "drohenden Psychose" hinzunehmen" sei.

Selbst nachdem dann als eine erwiesene Nebenwirkung des Leponex meine Zuckerwerte so schlecht wurden, dass man von einer milderen Form von Diabetes sprach, klärte mich niemand über diesen Zusammenhang auf. Nein, stattdessen bezahlte die Krankenkasse eine "Diabetes-Schulung", in der ich lernen sollte, mein Essverhalten zu verändern und das obwohl mein Essverhalten weder die Ursache für meinen Diabetes noch diabetesfördernd war. Mich klärte aber niemand über die wahre Ursache auf. Daher glaubte ich den Ärzten.

Erst, als ich das Leponex absetzte lagen plötzlich meine Zuckerwerte wieder, ohne jegliches Zutun oder Änderung meines Essverhaltens, im Normalbereich und sind es auch, seit ich kein Leponex mehr nehme, bis heute geblieben. Zudem nahm ich dann innerhalb kurzer Zeit wieder ab, was vorher mit großem (Energie) -Aufwand nicht möglich gewesen war. Ich konnte vorher tun und lassen was ich wollte, ich nahm nicht ab, denn gegen die Chemie in meinem Körper war ich machtlos. Ich beobachte heute immer wieder fassungslos, wie oft Menschen, die psychotische Vorerkrankungen haben und die in Folge der Medikamenteneinnahme zugenommen haben, Ernährungsleitlinien und Kurse... nahe gelegt werden und Ihnen oft sogar das Gefühl vermittelt wird sie seien selbst schuld, wenn sie nicht abnehmen.

In meinem Fall, was diese zwei Beispiele betrifft, waren die Folgen noch reversibel, nachdem ich das Neuroleptikum abgesetzt hatte. Es gibt aber viele Fälle, da ist die durch Neuroleptika hervorgerufene Nebenwirkung - ich kann in dem Falle auch Krankheit oder Störung... sagen - nicht wieder umkehrbar und die Betroffenen haben ein Leben lang, auch wenn sie absetzen, darunter zu leiden. Z.B. wenn die Bauchspeicheldrüse schon so geschädigt ist, dass sich jemand Insulin spritzen muss, wird er/sie den Diabetes nie mehr los werden.

Auch wenn ich hier Leponex erwähne, so beziehe ich mich aber auch auf alle anderen Neuroleptika. Ich habe schon fast jedes Neuroleptikum genommen, das auf dem Markt ist. Bezeichnend finde ich, dass die verheerenden Nebenwirkungen auch die hochgelobten atypischen Neuroleptika betreffen, zu denen auch Leponex (Clozapin) gehört.

Aus Studien weiß man vom erhöhten Risiko von Herz-¬Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen, die Neuroleptika einnehmen. Ich weiß um die um ca. 25 Jahre verringerte Lebenserwartung psychiatrischer Patienten und dass die erhöhte Mortalität auch immer öfter ganz direkt mit der Neuroleptikaeinnahme in Verbindung gebracht wird.

Und und und und ...

Das sind nur wenige Beispiele, die Liste ließe sich weiter führen.
Aber immer noch werden die meisten Betroffenen in den meisten Kliniken in Deutschland zur Neuroleptikaeinnahme gedrängt, wenn nicht sogar gezwungen.


Ich bin fassungslos

und mir drängen sich viele Fragen auf.

Warum bin ich noch nie davor gewarnt worden, die Neuroleptika weiter zu nehmen? Wirklich noch nie!? Warum wird von Profi-Seite aus, ausschließlich und nur einseitig vor den Folgen des Absetzens gewarnt? Warum gibt es so wenige Profis, die Betroffene auch vor der Neuroleptikaeinnahme warnen? Und zwar mindestens genauso vehement warnen, wie Betroffene vor dem Absetzen gewarnt werden?

Noch NIE hat jemand mir ernsthaft ins Gewissen geredet, wenn ich Neuroleptika genommen habe.

Sobald ich jedoch nur davon redete, absetzen zu wollen, wurde ich so unter Druck gesetzt, gewarnt und bedrängt, dass ich diesem enormen Druck nicht standhalten konnte. Manchmal wurde ich nicht nur zur Einnahme genötigt, sondern auch mit Gewalt dazu gebracht.



Was wünsche ich mir von meiner Umwelt

in Bezug auf Neuroleptika:

Was ich so dringend gebraucht hätte und noch heute brauche, lässt sich mit wenigen Worten sagen:

1. Objektive und umfassende Aufklärung, auch über negative Folgen der Neuroleptika, so wie das jeder Mensch, der zum Arzt wegen anderer Symptome geht, auch selbstverständlich erwarten kann.

2. Noch wichtiger:

Ermutigung zum und fürs Absetzvorhaben und dass die Helfer hinter mir stehen und das Vorhaben unterstützen.

3. Konkrete Unterstützung und Hilfe für den Absetzprozess.

4. Eine Absetzbegleitung, ambulant und stationär. Jede psychiatrische Klinik unterstützt dabei, Psychopharmaka hochzudosieren, kaum eine beim Absetzen

5. Die Voraussetzung für Punkt 1-4 ist für mich die Haltung zum Absetzen. Die Haltung ist das A und O bei dem Ganzen.
Ganz oft höre ich von Profis und Angehörigen, es sei einfach nicht möglich, Neuroleptika vollständig abzusetzen. Das sagen auch Menschen, die in ihren Augen erfolglos, versucht haben, Menschen beim Absetzprozess zu unterstützen.
Ich verstehe sehr gut, dass es sehr viel Kraft kostet, einen Menschen, der absetzt und in eine existentielle Krise gerät, emotional und tatkräftig zu unterstützen. Dieses Bemühen und diese Leistung schätze ich sehr und möchte ich auch in keinster Weise abwerten oder klein reden.

Als Ergebnis eines solchen im ersten Anlauf erfolglosen Prozesses wird aber oft resümiert, der Betroffene sei zu krank, um abzusetzen. Die Botschaft lautet: »Du bist zu krank zum Absetzen.«
Damit wird das ganze Problem dem Krisenerfahrenen aufgebürdet.

Was ich mir wünschen würde, wäre hier ein genaues Hinschauen, auf den vergangenen Prozess und die Ursachen des angeblichen Scheiterns. Hinsichtlich des Scheiterns eines Absetzprozesses muss sich auch das Hilfesystem Fragen gefallen lassen, z. B. ob in der festgelegten, also limitierten Zeit das Bewältigen einer existentiellen Krise zu schaffen ist. Dem Ausheilen eines Liebeskummers werden mehrere Wochen zugebilligt, einer als psychotisch diagnostizierten Krise nicht. Wertschätzung hieße hier, den Krisenerfahrenen angemessen aufzufangen und auch den Helfern zur Seite zu stehen.

Einen Prozess weg von Du-Botschaften hin zu selbstkritischen Ich-Botschaften und ein Hinterfragen der eigenen Haltung würde ich gerne anregen.

Dazu gehört für mich auch das Hinterfragen von viel zitierten Sprüchen, die für mich leider nicht hilfreich sind: »So wenig Medikamente wie möglich, so viel wie nötig« oder »Die Dosis macht das Gift«. Diese Haltung hat in meinem Fall nur dazu geführt, dass ich letztendlich beim Absetzen doch wieder nicht unterstützt worden bin, weil es nach dem Ermessen der potenziellen Helfer immer schon die geringstmögliche Dosis war. Oder der falsche Zeitpunkt.
Wenn es darum ging, zu einem konkreten Zeitpunkt abzusetzen, gab es immer Gründe für die Helfer, mich darin nicht zu unterstützen. Bis ich 2010 in die Soteria Zwiefalten aufgenommen wurde und zum ersten Mal erlebte, dass mich jemand tatkräftig beim Absetzen unterstützen wollte.

(Siehe Seite "Bemerkenswerte Krisenerfahrene und Profis" mit Klick auf Hier)

Wenn ich auf den optimalen Zeitpunkt, gemäß den Ratschlägen der vielen anderen Profis gewartet hätte, nähme ich heute noch solch hohe Dosen, die mich in solche Zustände versetzen würden, die ich zu Beginn dieses Kapitels beschrieben habe.

Für mich ist unterm Strich, nach Abwägen aller Vor- und Nachteile, eindeutig klar: Neuroleptika schaden mir, unabhängig von der Dosierung. Der eventuelle Vorteil, dass Symptome kurzfristig zurückgehen können, steht in keinem Verhältnis dazu, dass Neuroleptika auf längere Sicht selbst zu Psychosen führen können, von den massiven angesprochenen Nebenwirkungen, Langzeitschäden und irreversiblen Veränderungen ganz zu schweigen.

Für mich läuft es darauf hinaus: Etwas, das mir unterm Strich schadet, bleibt schädlich, unabhängig davon, wie hoch oder niedrig die Dosis ist. Es wird dosisabhängig vielleicht mehr oder weniger schädlich, aber es bleibt schädlich.

Also macht für mich in meinem Falle die Dosis nicht das Gift, sondern Gift bleibt Gift, egal in welcher Dosierung.

Meine Haltung ist die: Was mir schadet bzw. ich als schädlich erkannt habe, lass ich weg. Diese Wirkungen und Nebenwirkungen der Neuroleptika möchte ich mir und meinem Körper nicht mehr antun, egal in welcher Dosierung.

Und ich wünsche mir dann von denen, die mir wirklich helfen wollen, auch eindeutige und klare Parteinahme und klare Unterstützung des Absetzvorhabens und des Absetzprozesses. Selbsthilfegruppen kommt hier eine enorme Bedeutung zu. (Siehe Seite "Selbsthilfegruppe für Menschen, die ihre Neuroleptika absetzen wollen")

Ich freue mich, dass ich immer mehr reflektierte, offene und
dem Absetzprozess gegenüber aufgeschlossene Menschen kennenlerne, auch Profis. Diese so notwendige Ermutigung, Unterstützung und Begleitung gibt mir Hoffnung.

Im Laufe meines nun über zehnjährigen Absetzprozesses habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir meist eine individuelle Minimaldosis von 0,5 mg (nicht 5 mg!) Abilify ausreicht, um frei von psychotischen Krisen leben zu können.